Projekte
VIDEONALE.15
VIDEONALE.15 - THE CALL OF THE WILD
Festival für Video und zeitbasierte Kunstformen
Kunstmuseum Bonn, Stadt Bonn, 2014
»The wild and the fantastic enter the frame of visibility in the form of an encounter between the semi-domesticated and the unknown, speech and silence, motion and stillness. Ultimately, the revolutionary is a wild space where temporality is uncertain, relation is improvised, and futurity is on hold.« (Jack Halberstam, »Charming for the Revolution: A Gaga Manifesto«. In: E-FLUX JOURNAL #44, 2013)
THE CALL OF THE WILD als thematischer Rahmen der VIDEONALE.15 griff den Topos des Wilden auf, wie er von Kunst und Gesellschaft spätestens seit dem kolonialen 19. Jahrhundert genutzt wird, um das Ungezähmte, das Nicht-Zivilisierte, Primitive oder auch Anarchische in negativer Abgrenzung zum offiziell legitimierten Normen- und Wertekanon zu beschreiben. Dabei birgt der Begriff des Wilden oder auch der Wildnis ein viel größeres Potential, wenn man ihn jenseits althergebrachter Kategorisierungen zwischen schwarz und weiß benutzt, wie Jack Halberstam dies in ihrem Artikel im Katalog zur Ausstellung beschreibt. Nämlich als genau den explosiven Ort des Dazwischen, an dem sich die Kategorien in Auflösung befinden, während neue Kategorisierungen noch nicht gefunden sind, vielleicht auch gar nicht gefunden werden sollen.
Diese ›queere‹ Annäherung an den Begriff der Wildnis, in dem sich das Anarchische wie das Utopische gleichermaßen wiederfinden, erscheint mir ein interessantes Modell, um ganz unterschiedliche Handlungsoptionen zu adressieren, die aktuell in Gesellschaft und Kunst ihre Wirkung entfalten, alte Ordnungen in Frage stellen und Gewissheiten über Bord werfen: Die Fragilität bestehender Ordnungen offenbart sich u.a. in einem Überwachungsskandal, der vor Augen führt, wie weit die digitale Durchdringung unserer Lebensräume schon fortgeschritten ist und uns damit konfrontiert, wie eng die anscheinend unendliche Freiheit im Netz einerseits mit Kontrolle und Überwachung andererseits verknüpft ist. Sie zeigt sich in der offensichtlichen und dennoch unverständlichen Realität weltweiter religiöser und/oder territorialer Konflikte, die massive physische wie psychische Grenzverschiebungen nach sich ziehen und dabei auf der geopolitischen Agenda ebenso für Aufruhr sorgen wie in den Biografien der Einzelnen. Sie zeigt sich aber ebenso in den immer wieder neu geführten Debatten um Geschlechterpolitiken zwischen ›homo‹, ›hetero‹, ›trans‹, ›inter‹ und ›queer‹, um Rollenzuweisungen und Modelle von Familie und Gemeinschaft, die uns regelmäßig die Labilität des Systems verdeutlichen, in und mit dem wir uns täglich bewegen. Die Wildnis ist das Ungreifbare und das, mit dem verfügbaren Vokabular, Unbeschreibbare, das sich uns immer wieder aufs Neue entzieht und uns zum Neu-Verhandeln von Ordnung(en) herausfordert: »Wildness is not the lack of inscription, it is inscription that seeks not to read or be read but to leave a mark as evidence of absence, loss and death.« (Jack Halberstam)
In der Ausstellung der VIDEONALE.15 eröffneten 38 internationale Künstlerpositionen ein Spektrum dessen, was im Rahmen dieser Thematik verhandelt werden kann:
Janina Arendt, Udita Bhargava, Pauline Boudry & Renate Lorenz, Jenny Brady, Karolina Bregula, Wim Catrysse, Jos Diegel, Wojtek Doroszuk, Mahdi Fleifel, Christoph Faulhaber, Fabien Giraud & Raphaël Siboni, Shaun Gladwell, Philipp Gufler, Amina Handke, Constantin Hartenstein, Kerstin Honeit, Vika Kirchenbauer, Thomas Kneubühler, Ihra Lill, Lieux fictifs (diverse artists), Elin Magnusson, Rachel Mayeri, Marianna Milhorat, NEOZOON, O.N.L.S.D., Shelly Nadashi, Erkka Nissininen, Francois Nouguies, Alan Phelan, Christina Picchi, Florian Pugnaire & David Raffini, Mateusz Sadowski, The Otolith Group, Koen Theys, Anna Zett, Mikhail Zheleznikov, Tobias Yves Zintel.
Ausstellungsarchitektur: Ruth Lorenz, maaskant Berlin
Festivalprogramm mit internationalem Besucherprogramm, Vorträgen, Diskussionsrunden, Konzerten, Performances, Workshops, Networking Events und dem urbanen Ausstellungsprojekt VIDEONALE.Parcours mit 12 studentischen Positionen von deutschen Kunsthochschulen.
Im Anschluss: Videonale on Tour – Präsentationen (Ausstellung, Screening, Workshop) in Lagos, Nigeria; Kairo, Ägypten; Athen, Griechenland.